3. Anwendung der Konzepte in der Schule

3.1 Rudolf Steiners Temperamentenlehre 
3.2 Zur Anwendung der Forschungsergebnisse von Thomas und Chess 
3.3 Ressourcenorientiertes pädagogisches Handeln (Kaniak-Urban) 

3.1 Rudolf Steiners Temperamentenlehre

Rudolf Steiner hat umfangreich antroposophische, philosophische und pädagogische Gedanken zum Menschen angestellt und erläutert. Er hat ein pädagogisches Konzept entworfen, bei dem die unterschiedlichen Temperamente von Menschen nicht unberücksichtigt bleiben. In Waldorfschulen wird nach diesem pädagogischen Konzept unterrichtet.
Steiner sieht in dem Zwischenraum zwischen dem Menschen allgemein und dem individuellen Menschen manches, was ganze Menschengruppen gemeinsam haben. "Zu diesem Gleichartigen gehören diejenigen Eigenschaften menschlicher Wesenheit, die heute Gegenstand unserer Betrachtung bilden, die man gewöhnlich das Temperament des Menschen nennt. Weiter erklärt er das Temperament als "Grundstimmung des menschliches Wesens".
"Es ist ja wahr, daß uns jeder Mensch mit seinem eigenen Temperament entgegentritt, aber wir können doch gewisse Gruppen von Temperamenten unterscheiden. Wir sprechen ja, der Hauptsache nach, von vier menschlichen Temperamenten: von dem sanguinischen, dem cholerischen, dem phlegmatischen, dem melancholischen Temperamente." (Steiner, 1980)
Steiner hält sich also genau an die alte griechische Einteilung. Er gibt zu, das diese vier Temperamente nicht in dieser reinen Form auftreten, sondern in jedem Menschen gemischt sind. Trotzdem lassen sich aber im allgemeinen diese vier Gruppen unterscheiden.
Steiner sieht bei der Erziehung die Kenntnis und die Beurteilung des Temperaments für einen wesentlichen Wert des Erziehers. "Diese vier Temperamente bei den Kindern tatsächlich fortwährend zu studieren, das ist eigentlich in jeder Beziehung die Aufgabe des Pädagogen; sie so zu studieren, daß er sie auch fortwährend berücksichtigt." (Steiner, 1979, Vortrag vom 22.6.1922, zitiert nach Zentner S.20)
Berücksichtigen heißt für Steiner nicht die Temperamente auszugleichen, sie wegschaffen zu wollen, sondern "sie in richtige Gleise zu bringen." Er gibt hierfür auch
klare Vorschläge, wie man in der Praxis mit den Temperamenten umgehen kann. Für das Temperament des Cholerikers sei dies kurz erläutert.

Bei einem Gespräch mit einem Lehrer, der an einer Waldorfschule arbeitet, habe ich festgestellt, das die Waldorfpädagogik sich auch heute noch auf den Ansatz von Steiner stützt.

Der Choleriker (Element Feuer) versucht sich mit der Kraft seines starken, feurigen Willens unter allen Umständen durchzusetzen. Er handelt entschieden, ist hartnäckig, risikobereit und eigenwillig, kann klar denken und ist selbstbewußt. Als Gefahr seines Temperaments werden Jähzorn, Fanatismus und das Sich-verennen in eine Einseitigkeit angesehen.
Der Lehrer sollte dem Choleriker Aufgaben stellen, die ihn herausfordern und an denen er seine Willensstärke erproben und entfalten kann. Diese Aufgaben sollten seine Kräfte ein wenig übersteigen, so daß er sich anstrengen muß. Da Choleriker meist sehr selbständig sind sollte der Lehrer sich weitestgehend zurückhalten. Choleriker brauchen Menschen vor denen sie Achtung haben können. Daher sollte der Lehrer fachlich wie auch menschlich sehr gefestigt sein und zeigen, daß er den Schüler ernst nimmt. Bei problematischem Verhalten sollte der Erzieher die Oberhand behalten, indem er ruhig feststellt was passiert ist, und erst am nächsten Tag ernsthaft und sachlich mit dem Schüler darüber redet. Dieser muß spüren, daß ihm Verständnis für sein Verhalten entgegengebracht wird, aber auch, daß er lernen muß seine Kraft zu disziplinieren. Er muß ein Bewußtsein aufbauen für ausschreitende Situationen und lernen, sich mit anderen Tätigkeiten abzulenken. Möglichkeiten zum Ableiten der Kraft sind auch künstlerische Tätigkeiten wie Musizieren und Theaterspielen.

Entsprechende pädagogische Verhaltensweisen lassen sich auch bei den anderen Temperamenten finden. Zusammenfassend kann man feststellen, daß nach dem Grundsatz "gleiches mit gleichem behandeln" gearbeitet wird. Der Erzieher sollte das Temperament eines Kindes erkennen und sich auf dieses einlassen. Rudolf Steiner empfiehlt auch Kinder gleicher Temperamente zusammenzusetzen. Auf diese Weise können sich Phlegmatiker anlangweilen bis sich eine gewisse Aktivität in ihnen regt und cholerische Hitzköpfe erleben ihre eigenen Explosionen im Spiegel des Sitznachbars. Wenn die Kinder in Gruppen zusammensitzen kann der Lehrer sich je nach Unterrichtssituation besonders an eine der Temperamentsgruppen wenden. Die Schüler lernen so voneinander aus ihren eigenen Temperamenten zu schöpfen und erkennen sich gegenseitig an.

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