Warngedichte

Die "Warngedichte" (1964) Erich Frieds warnen nicht nur vor den politischen Entwicklungen, sondern auch vor dem unreflektierten Gebrauch der Sprache.

Die Wiederkehr

Verbrannt der Phönix im Nest
Krieg seiner Asche
Drei Tage dann kriecht der Krieg
als Wurm wieder aus

Keiner erkennt
in weichen Gewand die Verwandlung
Schnabel und Krallen
noch lang unter Haut und Flaum

Mit seinen Linsen 
bricht er zum Zerrbild das Licht
kauft er sein Erstgeburtsrecht
immer aufs neue

Endlich mit Flammenstrahl
am Linsengerichtstag
verbrennt er das eigene Nest
und mündet im Wurm

 

Rückblick

Dann sage ich:
Ich denke noch an die Liebe
aber den Streit
beginne ich zu vergessen

Dann denke ich:
Ich beginne zu glauben
was ich sage
vom Vergessen des Streites

Dann weiß ich:
Was ich sage und was ich denke
ist nicht wahr
ich glaube mir kein Vergessen

Ich kann nicht die Liebe vergessen
und nicht den Streit
nur was ich sage und was ich denke
nur was ich lüge und glaube

 

Die Abnehmer

Einer nimmt uns das Denken ab
Es genügt
seine Schriften zu lesen
und manchmal dabei zu nicken

Einer nimmt uns das Fühlen ab
Seine Gedichte
erhalten Preise
und werden häufig zitiert

Einer nimmt uns
die großen Entscheidungen ab
über Krieg und Frieden
Wir wählen ihn immer wieder

Wir müssen nur
auf zehn bis zwölf Namen schwören
Das ganze Leben
nahmen sie uns dann ab

 

 

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