Die heute noch weit verbreitete Vier-Temperamentenlehre lässt sich bis ins alte Griechenland zu Empedokles und Hippokrates zurückverfolgen. Die Griechen gingen davon aus, dass die Natur sich aus den vier Elementen Luft, Erde, Feuer und Wasser zusammensetzt. Da sich in jedem Menschen die Natur widerspiegelt ordnete Hippokrates den Elementen der Natur bestimmte Körpersäfte zu. Mit der Dominanz eines bestimmten Körpersaftes wurde dann die Vorherrschaft eines bestimmten Temperaments in Verbindung gebracht.
Kosmische Elemente | Deren Eigenheiten | Entsprechende Körpersäfte | Entsprechende Temperamente |
Luft | warm und feucht | Blut | Sanguiniker |
Erde | kalt und trocken | Schwarze Galle | Melancholiker |
Feuer | warm und trocken | Gelbe Galle | Choleriker |
Wasser | kalt und feucht | Phlegma | Phlegmatiker |
Tabelle 1: Antike Temperamentsauffassungen und ihre Entsprechungen. (nach Allport, 1970 aus: Zentner1993, S.17)
Galenus übernahm diese Temperamentenlehre und baute sie
weiter aus. Er ging davon aus, dass die Gesundheit mit der richtigen Mischung
der Körpersäfte zusammenhängt. Dadurch lässt sich wahrscheinlich auch der
Begriff Temperament erklären. (lat. temperare = abstimmen, mischen)
Galenus hat sich, wahrscheinlich als der Erste, mit den Temperamenten von
Kindern beschäftigt. Er stellte fest, dass sich schon in früher Kindheit
Verhaltensunterschiede beobachten lassen.
2.2 Die Untersuchung von Thomas und Chess
Thomas und Chess gehen davon aus, dass Verhaltensunterschiede
bei Kindern nicht, wie häufig angenommen, durch Umwelteinflüsse bestimmt
werden, sondern dass sie angeboren sind. Um diese Annahme zu bestätigen
begonnen sie 1956 mit der New Yorker Längsschnittsstudie (NYLS) bei der über
100 Säuglinge bis die Gegenwart beobachtet wurden. Das zentrale Anliegen dieser
Studie war, die unterschiedlichen Reaktionsweisen oder Unterschiede im
Verhaltensstil des Säuglings zu erfassen und zu klassifizieren.
Thomas und Chess gehen vom Verhaltensstil aus, da sie Temperament und
Verhaltensstil als synonym ansehen: "Der Ausdruck Temperament beschreibt
... am besten das Wie einer Verhaltensweise. Er unterscheidet sich von
der Bezeichnung Fähigkeit, die das Was und Wie gut des Verhaltens
beschreibt, und von der Bezeichnung Motivation, die erfassen soll warum eine
Person etwas tut. Die Bezeichnung Temperament beschreibt dagegen die Art
des Verhaltens eines Individuums. [...] Temperament wäre demzufolge synonym mit
Verhaltensstil." (Thomas und Chess, 1980; zitiert nach Zentner, 1993, S.66)
Auf Grund der Auswertungen der Studie wurden versucht verschiedene
Temperamentsdimensionen abzuleiten. Die leitenden Kriterien dafür waren der
Anspruch Verhaltensweisen zu finden, die bei allen Kindern präsent sein sollten
und die auf die psychische Entwicklung Einfluss zu haben scheinen. Die folgenden
neun Temperamentsdimensionen sollen sich dafür eignen Unterschiede im
Verhaltenstil (schon beim Neugeborenen) zu beschreiben (Definitionen zitiert
nach Zentner, 1993, S.67 ff.).
1. Aktivität
"Niveau, Tempo und Häufigkeit, mit der die motorische Komponente im
Verhalten hervortritt, sowie die Anteile passiven vs. aktiven Verhaltens im
Tagesablauf."
2. Regelmäßigkeit
"Vorhersagbarkeit des Auftretens biologischer Funktionen wie der
Schlaf-Wach-Rhythmus, Hunger und Stuhlgang."
3. Annäherung - Vermeidung
"Erste Reaktion des Kindes auf neue, unvertraute Reize seinen es
Menschen oder Spielzeuge, Maßnahmen usw."
4. Anpassungsvermögen
5. Sensorische Reizschwelle
"Die Stärke eines Reizes, die nötig ist, um eine wahrnehmbare
Reaktion hervorzurufen unabhängig von der Form, die diese Reaktion
annimmt."
6. Stimmungslage
"Anzahl der positiven Reaktionen (Lächeln, Lachen, Freude,
Zufriedenheit) im Verhältnis zur Anzahl der negativen Reaktionen (Weinen,
Schreien, Unzufriedenheit)."
7. Intensität
"Die Energie oder Heftigkeit, mit welcher eine Reaktion zum Ausdruck
kommt, ungeachtet der Qualität und Richtung dieser Reaktion."
8. Ablenkbarkeit
"Der Grad in welchem äußere Reize auf die Richtung des Verhaltens Einfluss
oder es verändern können."
9. Ausdauer
"Die Zeit, in der ein Kind sich mit einer Tätigkeit trotz vorhandener
Hindernisse beschäftigen kann."
In allen neun Dimensionen wurde das Verhalten des Kindes in einer 3-Punkte-Skala, hoch - mittel - niedrig, erfasst. Es konnten drei Konstellationen des Temperaments erkannt werden, die aus entsprechenden Kombinationen der Dimensionen in bestimmten Ausprägungsgraden festgestellt wurden: das "einfache" Kind, das "langsam auftauende" Kind und das "schwierige" Kind.
Das schwierige Kind ist gekennzeichnet durch
Unregelmäßigkeit biologischer Funktionen, Vermeidungsreaktionen angesichts
neuer Menschen und Situationen, langsames Anpassungsvermögen an Veränderungen,
hohe Intensität von Reaktionen und eine vorwiegend negative Stimmungslage.
Das langsam auftauende Kind reagiert auf neue Situationen und Menschen
mit Vermeidung und paßt sich nur gemächlich an diese an. Im Gegensatz zum
schwierigen Kind sind die Reaktionen dieser Kinder gemäßigter, weniger heftig,
das