Erich Fried

Liebesgedichte

 

Die Nichtnure

Nicht nur aus Zeitungen
nicht nur die Stimmen aus Galle
und Angst
und nicht nur
der Wettlauf mit der Post
die Rechnungen bringt
nachrichten
traurige Briefe

Nicht nur die Abwehr
der täglichen Gemeinheit
nicht nur die Sorge
und nicht nur die Trauer
und nicht nur das Mitleid
nicht nur die notgetaufte Hoffnung
und der geschlachtete Glaube
an eine bessere Welt

Erst auf der anderen Seite der Nure
beginnt das Leben
Dort geht die Liebe 
durch wirkliche Jahreszeiten
dort werden die Farben bunt
und die Geräusche
beinahe verständlich
und man kann Atem holen
und alles spüren und fühlen

Aber ich bin erschöpft
von den Zeitungen
und von den Stimmen
und von dem Wettlauf mit diesen
Nuren
in denen mein eines 
Leben vergeht
ohne dich

 

Wollen

Bei dir sein wollen
Mitten aus dem was man tut
weg sein wollen
bei dir verschwunden sein

Nichts als bei dir
näher als Hand an Hand
enger als Mund an Mund
bei dir sein wollen

In dir zärtlich zu dir sein
dich küssen von außen
und dich streicheln von innen
so und so und auch anders

Und dich einatmen wollen
immer nur einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne ausatmen trinken

Aber zwischendurch Abstand suchen
um dich sehen zu können
aus ein zwei Handbreit Entfernung
und dann dich weiterküssen

 

Gegengewicht

Woher 
mein Gegengewicht
nehmen
damit ich vom Leben
noch nicht 
abgeworfen werde
und fortgeschleudert?

Mich halten 
an mein Gedichte?
Mich halten
an meine Würde?
Mich halten 
an meine Einsamkeit
in diesem Haus?

Wie erbarmenswert
sind alle
solche Methoden
kleinlich
sich klammernd
an Hoffnungen
die keine sind

Es gibt nur
ein einziges
Gegengewicht
gegen Unglück:
das muß man 
suchen 
und finden
und das ist Glück

 

Eine Kleinigkeit

                             für Catherine
Ich weiß nicht was Liebe ist 
aber vielleicht 
ist es etwas wie das:

Wenn sie
nach Hause kommt aus dem Ausland
und stolz zu mir sagt: "Ich habe
eine Wasserratte gesehen"
und ich erinnere mich an diese Worte
wenn ich aufwache in der Nacht
und am nächsten Tag bei der Arbeit
und ich sehen mich danach
sie dieselben Worte
noch einmal sagen zu hören
und auch danach
daß sie nochmals genau so aussehen soll
wie sie aussah
als sie sie sagte - 

Ich denke, das ist vielleicht Liebe
oder doch etwas hinreichend Ähnliches

 

Fragen und Antworten

Wo sie wohnt?
Im Haus neben der Verzweiflung

Mir wem sie verwandt ist?
Mit dem Tod und der Angst

Wohin sie gehen wird
wenn sie geht?
Niemand weiß das

Von wo sie gekommen ist?
Von ganz nahe oder ganz weit

Wie lange sie beleiben wird?
Wenn du Glück hast
solange du lebst

Was sie von dir verlangt?
Nichts oder alles

Was soll das heißen?
Daß das ein und dasselbe ist

Was gibt sie dir
- oder auch mir - dafür?
Genau soviel wie sie nimmt
Sie behält nichts zurück

Hält sie dich
- oder auch mich- gefangen
oder gibt sie uns frei?
Es kann uns geschehen
daß sie uns die Freiheit schenkt

Frei sein von ihr
ist das gut oder schlecht?
Es ist das Ärgste
was uns zustoßen kann

Was ist sie eigentlich
und wie kann man sie definieren?
Es heißt daß Gott gesagt hat
daß er sie ist

 

Was?

Was bist du mir?
Was sind mir deine Finger 
und was deine Lippen?
Was ist mir der Klang deiner Stimme?
Was ist mir dein Geruch
von unserer Umarmung
und dein Duft
in unserer Umarmung
und nach ihr?

Was bist du mir?
Was bin ich dir?
Was bin ich?

 

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