Erich Fried

Liebesgedichte

In den Liebesgedichten lassen sich unterschiedliche thematische Schwerpunkte erkennen. Fried versucht Definitionen von Liebe zu finden und Gefühle mit Wörtern zu beschreiben. Eindeutige Antworten lassen sich nicht finden, aber es zeigt sich doch ein Spektrum von Assoziationen unterschiedlicher Weise zum Begriff Liebe. Auch hier in den Liebesgedichten arbeitet Fried mit dialogischen Strukturen und dem formulieren von Fragen, die manchmal offen belieben, manchmal Antworten finden, aber immer zum "Selbstbefragen" einladen. 
Viele Gedichte drücken die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen aus, das ungeduldige Warten auf ein Wiedersehen. Und Fried verbalisiert die Zweifel, die in einer Partnerschaft mit einem Alterunterschied aufkommen.
Als typischen Fried kennzeichnet die Liebesgedichte auch die Akzeptanz des anderen und das Kämpfen gegen Entfremdung, auch in der Liebe.

 

Aus dem Nachwort des Gedichtbandes "Liebesgedichte": "Ein Band Liebesgedichte bedarf keiner besonderen Erklärung oder Rechtfertigung, auch wenn - oder gerade weil - neuerdings oft verbreitet wird, es gebe heute keine Liebesgedichte mehr." (Erich Fried)

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

 

 

Dich

Dich
dich sein lassen
ganz dich

Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will

Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln

Dich dich sein lassen
ob das schwer ist oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem-
nach allem
was du ist

Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit

Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer

Nur nicht

Das Leben
wäre
vielleicht einfacher
wenn ich dich
gar nicht getroffen hätte

Weniger Trauer
jedes Mal
wenn wir uns trennen müssen
weniger Angst
vor der nächsten
und übernächsten Trennung

Und auch nicht soviel
von dieser machtlosen Sehnsucht
wenn Du nicht da bist
die nur das Unmögliche will
und das sofort
im nächsten Augenblick
und die dann
weil es nicht sein kann
betroffen ist
und schwer atmet

Das Leben
wäre vielleicht
einfacher
wenn ich dich
nicht getroffen hätte
Es wäre nur nicht
mein Leben

 

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